Natürliche Kältemittel: Interview mit Dr. Heinz Jürgensen
Woher rühren aus Ihrer Sicht die Berührungsängste vieler Unternehmen hinsichtlich einer Umstellung auf natürliche Kältemittel?
Jürgensen: Mein Eindruck ist, dass sich viele Betreiber von Kälteanlagen – vor allem kleinere Supermärkte, Restaurants, Bäcker, Schlachter – nicht bewusst sind, wie schnell und tiefgreifend sie diese Änderungen betreffen. Sie sind wenig in den Informationsfluss rund um die F-Gase-Verordnung und andere die Kältemittel betreffende Regularien integriert. Für sie ist die Kälteanlage ein Werkzeug, das möglichst effizient und kostengünstig funktionieren sollte. So fehlt letztlich die Nachfrage des Marktes nach langfristigen Lösungen. Womöglich wird der Zeithorizont der Regularien nicht als drängend wahrgenommen, aber das ist er. Wenn man sich heute fragen würde, was an Kältemitteln in 15 oder 20 Jahren noch verfügbar ist, um die Anlage weiter zu warten und zu betreiben, würde die Nachfrage nach CO2-, Propan- oder Ammoniak-Lösungen sicherlich steigen.
„Vielen Betreibern von Kälteanlagen sind sich nicht bewusst, wie schnell und tiefgreifend sie diese Änderungen betreffen werden.“
Kohlendioxid, Propan, Ammoniak – was sollte man über diese natürlich vorkommenden Stoffe als Kältemittel in Kürze unbedingt wissen?
Jürgensen: Propan oder R290 als Kältemittel ist gut für die Gewerbekälte geeignet. Es siedet bei -42 °C und kann Verdampfungstemperaturen von -40 °C und höher abdecken. Der Stoff kann beim Verdichten große Temperaturhübe problemlos abdecken – ähnlich wie R404A. Der Kohlenwasserstoff Propan ist sehr leicht entzündlich und erfordert deswegen eine Erweiterung der Gefährdungsbeurteilung sowie die Umsetzung entsprechender Maßnahmen, um Gefahren zu vermeiden. Insbesondere bei Wartung und Reparatur ist eine aufmerksame und strenge Handhabung der Sicherheitsregeln erforderlich.
Wir bei BITZER haben Propan zum Beispiel bei Hubkolbenverdichtern seit vielen Jahren im Einsatz und können vom 2-Zylinder- bis hin zum 8-Zylinder-Verdichter die gesamte Leistungspalette abdecken. Auch Kompaktschraubenverdichter für den Klimabereich oder die Prozesskühlung sowie halbhermetische Schraubenverdichter für Verbundanlagen funktionieren mit Propan und dem ähnlichen Kältemittel Propen.
Kohlendioxid oder R744 als Kältemittel ist bereits recht verbreitet. Es ist nicht brennbar, hat dafür aber eine deutlich höherer Drucklage. Gegendrücke von 90 bis 130 bar sind möglich. Das bedeutet, dass hier die gesamte Anlagenkonstruktion aber auch die Regelung und Wartung anders ist. Für die zweistufigen CO2-Anlagen hat BITZER speziell angepasste Verdichter für die Tiefkühl- sowie für die Normalkühlstufen im Portfolio. In diese Art der Anlagenkonstruktion ist zunächst eine umfassende Einarbeitung notwendig. In der SCHAUFLER Academy bieten wir beispielsweise auch Schulungen zu diesem Thema. Vor allem, wenn mittlere bis höhere Leistungen in der Gewerbekälte benötigt werden, sind Anlagen mit CO2-Verdichtern durchaus wettbewerbsfähig.
Ammoniak kommt typisch in großen Anlagen mit über 100 kW Leistung als Kältemittel zum Einsatz, in der Regel jedoch nicht bei Publikumsverkehr. Die bewährte Anlagentechnik für Ammoniak mit Stahlrohren, überfluteten Verdampfern und nicht löslichen Ölen lässt sich nicht als Lösung für typische Gewerbekälteanwendungen übertragen. Außerdem sind auch hier in Bezug auf die Sicherheit einige Besonderheiten zu beachten. In Großkälteanlagen ist wegen der großen Füllmenge auch der deutliche Preisvorteil von Ammoniak im Vergleich zu anderen Kältemitteln ein Argument. In diesem Anwendungsbereich hat BITZER jahrelange Erfahrung und auch neue hocheffiziente Schraubenverdichter im Portfolio.
Birgt die Regulatorik rund um Kältemittel Ihrer Meinung nach auch Chancen?
Jürgensen: Es ist wohl kaum machbar, mit einem Kältemittel alle Anwendungen abzudecken. Das Wichtigste ist, dass die Kälteanlage anwendungsspezifisch und für das richtige Kältemittel der Zukunft ausgelegt ist, um in Summe über die Nutzungsdauer so wenig Emissionen wie möglich zu verursachen. Dennoch bieten neue Verdichter und Komponenten auch ein hohes Maß an Energieeffizienz und somit Kosteneinsparpotenziale.
Bei BITZER haben wir seit 1987 beispielsweise Propan-Verdichter im Portfolio und entwickeln diese seither weiter. Bei den Ammoniak-Schrauben-Verdichtern sind tatsächlich unsere neuesten, großen Schraubenverdichter in der Leistungsklasse die effizientesten, die wir im Markt kennen. Bei Kohlendioxid sind das ganz eigene Konstruktionen. Dadurch, dass man bei Kohlendioxid häufig zweistufig fahren muss, haben wir speziell angepasste Verdichter für die niedere Druckstufe und die höhere Druckstufe, sodass wir da auch die günstig mögliche Kombination aus Motor, Druckverlust und Konstruktion der Zylinderköpfe, Ventilplatten so hinbekommen, dass sie für die jeweiligen Arbeitsbereich hoch optimiert sind.
Optimiert für natürliche Kältemittel: BITZER Produkte für jedes Anwendungsfeld
BITZER unterstützt seine Kunden mit einem vielfältigen Produktportfolio, das auch für den Einsatz von natürlichen Kältemitteln optimiert ist. Der neue 8-Zylinder-Hubkolbenverdichter für transkritische CO2-Anwendungen beispielsweise steht für volle Kälteleistung in Großanlagen und Wärmepumpenanwendungen – und das mit weniger Verdichtern als bisher.
Die neue Erweiterung der ECOLINE CO2-Baureihe für noch größere Leistungsbereiche mit CO2 als Kältemittel in Kälte- und Wärmepumpenanwendungen ist rund zehn Prozent energieeffizienter als kleinere 6-Zylinder-Verdichter, die aktuell auf dem Markt angeboten werden. Das sorgt für weniger Energieverbrauch und weniger Emissionen. BITZER hat die 8-Zylinder- CO2-Hubkolbenverdichter für Anlagen im größeren Leistungsbereich entwickelt, die bisher mit HFKW-Kältemitteln oder Ammoniak ausgelegt wurden.
Die BITZER 8-Zylinder-CO2-Hubkolbenverdichter sind in zwei Motorvarianten mit Fördervolumina zwischen 69,4 und 99,2 m3/h verfügbar und für den Frequenzumrichterbetrieb konzipiert. Zudem sind sie mit der mechanischen Leistungsregelung VARISTEP für den Teillastbetrieb sowie mit Anlaufentlastung ausgestattet. Die 8-Zylinder-CO2-Hubkolbenverdichter zeichnen sich durch geringe Gaspulsationen und Vibrationen sowie niedrige Anlaufströme aus. Durch die verbesserte Gasführung wird der interne Druckabfall minimiert und die Ölwurfrate erreicht gewohnt niedrige BITZER Werte. Die Verdichter sind durch IQ Modul und Ölmanagement OLM einfach zu integrieren, zu installieren, zu bedienen und zu warten.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass natürliche Kältemittel grundsätzlich noch besser angenommen werden?
Jürgensen: In jedem Fall müssen die Kälteanlagenbetreiber den Handlungsbedarf erkennen, also informiert sein über das, was da kommt. Zudem sollten die Kälteanlagenbauer und Mechatroniker den Umgang mit natürlichen Kältemitteln lernen. Wir müssen bei beidem unterstützen mit Informationen, Trainings und mit unseren passenden Produkten. Das sehe ich als unsere Aufgabe an.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kältemittel in Europa: BITZER Informations- und Serviceangebot
Schulungsangebot der SCHAUFLER Academy
Ob digital oder vor Ort – die SCHAUFLER Academy in Rottenburg bietet Kältefachleuten ein breitgefächertes Schulungsangebot nicht nur zum Umgang mit den verschiedenen natürlichen Kältemitteln.
SCHAUFLER Academy Rotttenburg-Ergenzingen
BITZER Kältemittel-Report Online-Edition
Alle relevanten Informationen zu Kältemitteln auf einen Blick: Seit 1992 bietet der BITZER Kältemittel-Report der Fachbranche ein verlässliches Nachschlagewerk. Die neue, wesentlich erweiterte Fassung, ist ausschließlich online erhältlich und ist somit stets auf dem aktuellsten Stand in Bezug auf Regularien und Vorgaben sowie inklusive einer Gesamttabelle mit Filterfunktion zu den Kältemitteln.
Kältemittel Report Online Edition